Ich bin in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt

von Ulrike Müller
2021
neue Bühne Senftenberg

Ich bin in einem Land geboren, das es nicht mehr gibt."(UA)
Eine biografische Recherche, auf der Suche nach Identität.

Ich würde mein Leben so gern aus der Vogelperspektive betrachten, um es dann besser zu verstehen, um wirklich auch meinen Frieden zu finden mit dem was war und dann... ja...weiterzuleben.“
(Zitat: Dr. Conny B., Biologin)

2019/20 feiern wir 30 Jahre Mauerfall - 30 Jahre politische Wende - 30 Jahre Wohlstand für alle!???

Wie erleben die Menschen in der Lausitz nach 30 Jahren nun Einigkeit?! Recht?! Freiheit?! Wie sieht ihr Leben aus?

Macht der Wohlstand die Menschen zufriedener oder glücklicher?

Welche Erlebnisse haben sie in den letzten drei Jahrzehnten geprägt?

Was bedeutet es für sie in einem Land geboren zu sein, was es heute nicht mehr gibt?

Gibt es eine Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der DDR und der Angst vor Überfremdung?

Welche Fragen stellen die Menschen in der Lausitz an ihre Heimat?

Was bedeutet Heimat und kann sie verloren gehen (auch wenn man nicht fortgeht, sondern geblieben ist)?

Wie fügen sich die Erlebnisse der Zugewanderten in das Bild der Einheimischen?

Ich glaube, dass der Wegfall der DDR, der Verlust einer nahezu schicksalhaften, unverrückbaren gesellschaftlichen Bestimmung, die Menschen im Osten nach wie vor beschäftigt und dass es wert ist ihre Geschichten im Theater zu erzählen.


"Ich hab bis heute ein Verlustgefühl. Ich habe meine Heimat verloren. Natürlich- es ist ja noch alles da und trotzdem ist es nicht mehr mein Land und ich kann mich damit nicht richtig identifizieren. Damit hab ich natürlich auch ein Problem mich in die Gesellschaft zu integrieren- meinen Platz zu finden, weil vom Gefühl her stimmt halt irgendwas nicht – ich kann das auch nicht besser erklären. Dieses Gefühl ist die ganze Zeit da."

"Es begann die Zeit des wilden Ostens – wo das hier ein rechtsfreier Raum war, den gerade die Jugendlichen für sich absolut genutzt haben. Die Polizei musste sich umstellen, die kannten die neuen Gesetze nicht. Die Eltern eben auch nicht. Behalten wir unsere Arbeit? Die hatten wirklich extrem andere Probleme. Mein Vater hatte sich selbständig gemacht, hat versucht eine Firma aufzubauen. Mein Vater musste sich umstellen auf diesen Kapitalismus, musste sehr viel lernen und musste sehr viel arbeiten. Wenn er zu Hause war, wollte er einfach nur seine Ruhe haben und sein Bierchen trinken und sein Schnitzel essen. Selbst für uns, die in diesem neuen System groß geworden sind, ist es nicht so einfach wenn wir uns vielleicht selbständig machen – da musst du soviel lernen und kapieren. Für einen Ossi, der sein Leben eingebettet war in so´nem sozialistischen Staat der ihm das Denken quasi abgenommen hat … Plötzlich musst du dich mit irgendwelchen Rechtssachen befassen und die Finessen des Kapitalismus überhaupt erst ein mal durchschauen. Mein Vater hat nicht viel gesprochen in der Zeit. Er hat viel gearbeitet und wollte es allein schaffen – denk ich mal. Vorher zu DDR-Zeiten hatte er noch viel Sport gemacht aber dann ist er viel dicker geworden. Da ist etwas verloren gegangen. Die Agilität des Körpers wechselte in eine ungesündere Sache. Auch Alkohol. Meine Mutter hatte auch viel zu tun. Da wurden Systeme geändert, Computer eingeführt, was weiß ich. Sie waren mit sich selbst beschäftigt, haben sich sehr viel gestritten. In diesem Windschatten haben wir Jugendlichen ganz schön viel Mist gemacht. Ich habe mir damals nicht viel sagen lassen und hab geblockt. Heute versuche ich ein besserer Sohn zu sein.

In dem Stadtteil aus dem ich komme, waren sofort alle rechts – da gab´s keine Linken.

Wir haben zusammen rumgehangen und diese Nazimusik gehört. Das hat man irgendwie zusammen gemacht. Wir wurden zusammen ein bisschen halbstark. Als Halbstarker spürst du dann ein bisschen Macht, wenn die Erwachsenen die Straßenseite wechseln. Das findest du geil. Das man zusammen mächtig ist, verbindet einen. Wegen mir hätte keiner die Straßenseite gewechselt. Zu dritt ist das schon ´ne andere Sache. Wenn da drei 14-jährige Steppkes auf dich zukommen, dann gehst du halt lieber rüber auf die anderen Seite: „mit denen will ich jetzt auch nicht...“ Das spüren die drei, das ist ein geiles Gefühl, das ist ein Machtgefühl.

In unserer Schule war man praktisch automatisch rechts. In der siebenten/achten Klasse war ich so ein Mitläufer-Rechter mit Bomberjacke und DocMartin-Schuhen, da habe ich gar nicht überlegt, das war wie eine Mode. Das ist halt auch der Ossi. Nicht auffallen, graue Masse sein. In meinem Viertel wäre ich aufgefallen, wenn ich rote Haare hätte. Also bin ich nicht aufgefallen wenn ich Bomberjacke und DocMartin-Stiefel getragen hab. Schmierereien haben wir gemacht. Wir mussten erst einmal lernen wie ein Hakenkreuz geht. Wie viele falsche Hakenkreuze ich irgendwo hingeschmiert hab, auf eine Bank oder so nicht an die Wand, so etwas hab ich weniger gemacht. Einmal hatte einer eine Spraydose dabei. Da sind wir zum Asylantenheim und wollten Deutschland den Deutschen schreiben und dann haben wir Deutschland den Deutschland geschrieben – wie blöd sind wir gewesen – so richtig beknackt. Dann haben wir daraus, wir mussten ja irgendwas draus machen: „Deutschland den Deutschländern“ gemacht – so richtig bescheuert. Es war keine kluge Zeit, du hast das gemacht was alle gemacht haben. Ich habe irgendwann angefangen, das mit dem „Rechtssein“ zu hinterfragen….."

"In der DDR hast du als Kind schon eine Aufgabe bekommen: Dem Staat irgendwie zu helfen, für den Staat da zu sein, deine Energie dem Staat zu geben für eine gute Sache. Der Staat war ja ´ne gute Sache. Ein antifaschistischer Schutzwall gegen die Bösen. Die sind da draußen und wir hier sind die Guten. Das ist jetzt weggefallen. Heute kriegst du gefühlt nur noch auf die Fresse. Und am Ende wählst du dann auch noch falsch. Widerstand ist ja heute, das man AfD wählt. Dafür kriegst du dann erst recht eins auf die Fresse – im übertragenen Sinne. Es ist nichts politisches – denke ich. Es ist eine Art Bockig-Haltung, zumindest bei der Hälfte der Leute.

Weil man nicht gehört wird, weil man nicht gesehen wird.

Der Staat könnte uns allen – nicht nur allen Deutschen – allen wieder eine Aufgabe geben. Aber das kriegt der Kapitalismus nicht hin. Dem Kapitalismus ist das egal. Die Aufgabe im Kapitalismus ist Konsumieren. Das reicht aber nicht. Das ist seelenlos. Du bist nur so´ne Hülle. Und das sieht man dann auch. Ich weiß nicht ob dieser Wesenzug durch die Wende in die Menschen gezogen ist. Dazu war ich damals zu klein um das zu Beurteilen. Ich kann nur sagen was dazu gekommen ist: Die Leute sehen ungesünder aus. Sie waren mal vitaler vielleicht auch ein Stück offener. Heute sind sie verschlossener und ungesund. Viel Alkohol, viel Zigaretten, kein gutes Essen. Ich finde das ist ´n krasser Unterschied wenn du junge Migranten siehst die hier jetzt leben – die sehen alle gesund aus. Und dann siehst du daneben unsere Leute …"

"In der Lieberoser Sargfabrik GmbH war ich bis 2004. Durch die Öffnung der Grenzen in östlicher Richtung, sprich nach Polen und Russland, war auf einmal der Markt eingebrochen. Jetzt konnten die aus den Ländern auch direkt kommen und anliefern. Die Möglichkeit hat uns die Knie weggezuppt. Oder die Füße weggezuppt. Das war unser AUS, wenn man als Firma über Jahre nicht so riesen Rücklagen hat. Sicherlich hätte man einiges anders machen können, jetzt im Nachhinein. Was anderes produzieren, wie auch immer. Aber wir hatten kein Geld. Wir haben immer gerade so mit´m Köpfchen aus`m Wasser geguckt. Das konnten wir dann nicht lange durchhalten. Es gab die Insolvenz und mit der Insolvenz sind dann alle Mitarbeiter in die Arbeitslosigkeit gegangen."

Es war schon relativ schwierig, das zu überleben. Erst gab es dieses Arbeitslosengeld. Dann hat man sich auch immer wieder beworben. Zu der Zeit war der Arbeitsmarkt so, also: „Es gab nix. Es war nix da. Das war schon... oh je...!“ Da sind manche Tränen geflossen.

"Ich glaube, die Menschen sind früher zufriedener gewesen. Diese Zufriedenheit wünsche ich mir zurück. Und ich wünsche mir ein bisschen mehr Solidarität. Wobei man natürlich heute irgendwo ganz schnell den Vorwurf erhalten kann, dass diese Solidarität vielleicht nur aufgesetzt war. Vielleicht war sie in dem Sinne gar nicht da, sondern es waren Zweckgemeinschaften, die sich aufgrund der Mangelwirtschaft geholfen haben. So könnte man es auch sehen.

Zufriedenheit und das Abwägen von Werten miteinander, das findet heute in den Köpfen kaum noch statt. Wenn man sich die Welt heute in ihrer Zerbrechlichkeit und in ihrer Grausamkeit anschaut, was Massengenozide angeht, was Hungersnöte angeht, was Dürrekatastrophen angeht, Auswirkungen von Umweltschäden. Und wenn man sich dann den Wohlstand anschaut, den wir geniessen dürfen bis hin zu denen, wenn man mal von ganz wenigen Ausnahmefällen absieht, unverschuldeten, vielleicht sozialen Härtefällen, aber ansonsten auch den sozialen minderbemittelten Schichten, die alle leben können, nicht frieren und nicht hungern müssen. Das zu relativieren, ist eine Aufgabe die jeder Mensch eigentlich als Pflichtaufgabe hat. Dann kämen wir vielleicht auch zu anderen politischen Lösungen. Denk ich."

"Ich will nicht am Ende meines Lebens dastehen oder dasitzen oder daliegen und sagen:

Was war denn das jetzt? Was hast Du denn hier gemacht? Das war´s jetzt - das Leben?

Das ist meine Angst, das ich denke: Ich hab überall reingeschnuppert und es ist ein Sammelsurium von verschiedenen Dingen, die nie ...ja... geworden sind ...zum Großen, die nie gewachsen sind zu dem Eigentlichen.

Aber vielleicht ist das auch wieder unser Denken aus dem Osten, dass es irgendetwas sein muß am Ende."

Team

  • Saskia Wunsch
    Kostüme
  • Jan Lehmann
    Bühne
  • Ulrike Müller
    Regie